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Lorscher Buchkunst im Gefolge des Meisters des Registrum Gregorii

Nach dem Niedergang des Lorscher Skriptoriums seit spätkarolingischer Zeit erfuhr das Lorscher Schriftwesen einen Wiederaufschwung seit dem Ende des 10. Jh. Mit diesem ist auch eine Wiederbelebung der Lorscher Buchmalerei verbunden. Als Ausgangspunkt wird hierbei die Kunst des sogenannten Meisters des Registrum Gregorii angesehen, der unter Erzbischof Egbert (977-993) in Trier wirkte und u.a. an einem illustrierten Sakramentar (Chantilly, Bibliothèque du château, Ms. 40/1447) mitgearbeitet hat, das sehr wahrscheinlich für Lorsch bestimmt gewesen war. Das Formengut dieser und anderer Handschriften, an denen der Gregormeister beteiligt war, führte in Lorsch die Initialornamentik und die Miniaturenmalerei auf eine neue Höhe.

Frühe Lorscher Initialkunst in ottonischer Zeit

Handschriftenseite mit roten InitialenEine Gruppe von rot gezeichneten Initialen tritt Ende des 10. Jh. unter Abt Saleman (972-999) erstmals in Erscheinung und lässt sich bis ins 11. Jh. verfolgen. In einem Ezechielkommentar Gregors des Großen (Vatikan, BAV, Pal. lat. 253, fol. 4v), der Ende des 10. Jh. in Lorsch hergestellt wurde, befinden sich zwei Initialen: In der linken Spalte wurde ein Adler mit Flügeln und Nimbus bzw. das Symbol des Evangelisten Johannes in das Binnenfeld eines Q gesetzt, in der rechten Spalte befindet sich eine Rankeninitiale, die auch als partielle Spaltleisteninitiale bezeichnet werden kann. Im Zwickel des V sind die Ranken mit vier Vierpässen symmetrisch um einen Mittelkolben angeordnet. Am linken oberen Ende wurden sie durch den Spalt im Buchstabenkörper geführt, auf der rechten Seite winden sie sich um ihn. Rankeninitialen ähnlicher Art finden sich auch in einer um 1000 als Nachtrag in BAV, Pal. lat. 494, fol. 6r geschriebenen Evangelienlektion, in einem Evangelistar (München, BSB, Clm 23251, foll. 24r, 28r) und einem Evangeliar (Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 2° 44, fol. 11r) aus etwa dem 1. Viertel des 11. Jh. Das Stuttgarter Evangeliar enthält außerdem zwei aus Rankensträngen gebildete I mit Knollen- und Herzblättern und, das zweite I, darüber hinaus mit einem Tierkopf in der Schaftmitte (foll. 50r, 130v).

Miniaturen und Initialen im Umfeld der Oudalricus-peccator-Handschriften

Um die Mitte des 11. Jh. entstanden in Lorsch prunkvolle Miniaturen, die ebenfalls ihren Ursprung in Vorlagen des Meisters des Registrum Gregorii haben und sich in Handschriften der sogenannten Oudalricus-peccator-Gruppe befinden. Diese besteht im Kern aus fünf Handschriften – einem Evangeliar (ehem. Aschaffenburg, Hofbibl., Ms. 20 [verschollen]), zwei Evangelistaren (London, British Libr., Harley 2970; München, BSB, Clm 23630), einem Ps.-Alkuin, De divinis officiis (München, UB, 4° Cod. ms. 179) und einem Tonarius Bernos von Reichenau (Vatikan, BAV, Pal. lat. 1344) –, in denen ein mit Abt Udalrich von Lorsch (1056-1075) vermutlich identifizierbarer Oudalricus als Stifter vermerkt ist. Die drei Evangelienhandschriften enthalten Evangelistenbilder, die auf einen verlorenen Zyklus des Gregormeisters zurückgeführt werden. In dem verschollenen, ehemals Aschaffenburger Codex, von dem sich zumindest sieben Fotos erhalten haben, sind die Figuren der Evangelisten wenig abwechslungsreich, schreibend dargestellt. Die Miniaturen werden von einer rahmenden Gebäudearchitektur dominiert. In den beiden Evangelistaren sind die Gebäude an den oberen Bildrand, in den Hintergrund, verschoben worden. Vergleicht man den Londoner mit dem Münchener Bilderzyklus, erkennt man die bis in Einzelheiten führende Übereinstimmung in Komposition und Ausführung auf den ersten Blick. Dennoch stammen sie wohl nicht von derselben Hand. Die Londoner Miniaturen werden etwas früher angesetzt.

Ein weiteres etwa zeitgleiches und vermutlich in Lorsch hergestelltes Evangeliarfragment (Oxford, Bodl. Libr., Douce Ms. 292) enthält ebenfalls Evangelistenbilder, die Anklänge an den Gregormeister erkennen lassen. Über Miniaturen, doch mehr noch über die Initialkunst der Oudalricus-Gruppe, die auch Verbindungen zu den älteren Rankeninitialen aufzeigt, können dieser weitere Handschriften zugesellt werden. Die IN-Ligatur der Initialzierseite eines Evangelistars (Wien, ÖNB, Cod. 1140, fol. 1r) wurde nahezu exakt aus dem wohl nur etwas älteren Münchener Oudalricus-Evangelistar (München, BSB, Clm 23630, fol. 7v) kopiert: Auf Purpurgrund begrenzen das N und die aus dem Schaft des I wachsenden Ranken ein Binnenfeld mit grünem und blauem Hintergrund. Der goldene Körper der Initialen ist rot konturiert, die Spalten blau gefüllt und weiß getupft. Blütenförmige weiße Tupfer sind auch über den grünen Hintergrund verstreut. Die Ranken enden in Drei- und Vierpässen oder anders geformten kleinen Blättern. Im Unterschied zur Münchener Handschrift streben die Ranken stärker nach oben und unten, so dass das Binnenfeld nach diesen Seiten hin weniger vom N begrenzt wird und die Flechtbandknoten an den Enden des I nicht so stark herauszuragen scheinen. Die Verteilung von Blau und Grün ist gespiegelt, im Münchener Codex wurde auch Silber für die Ranken und Spangen an den Schäften des N verwendet. Außerdem ist der von einer goldenen und einer silbernen Leiste konturierte Rahmen mit einem ornamentierten Binnenfeld deutlich aufwändiger gestaltet.

Ähnliche Initialen mit in Blüten, Früchten, Dreipässen oder auch anderen Zierformen endenden Ranken finden sich nicht nur in diesen beiden Handschriften (z.B. München, BSB, Clm 23630, fol. 39v u. Wien, ÖNB, Cod. 1140, fol. 51r), sondern auch in denen der älteren Gruppe und, mit reichlich Gold und Silber verziert, in weiteren Handschriften um die Oudalricus-peccator-Gruppe (z.B. Vatikan, BAV, Pal. lat. 499, fol. 9v; Princeton, Univ. Libr., Garrett Collection Ms. 43, fol. 5r und Paris, Bibl. St. Geneviève, Ms. 2657, fol. 47v). Nach Hartmut Hoffmann zeigen die Initialen in Lorscher Handschriften des 11. Jh. „eine Entwicklungslinie und Gemeinsamkeiten, die man als charakteristische Eigentümlichkeiten einer Schule auffassen kann” (Hoffmann 1986, S. 225).


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